Nach schier endloser Zeit traf mich die Schachnovelle wie ein Blitz und fast in kafkaischer Manier las ich es an einem Stück. Was übrig bleibt, die innere Zerissenheit, das Schwarz, das Weiß, die Gegensätze. Das Spiel zweier wahrer Meister, das Aufeinandertreffen zweier Extreme. Eine kleine Buchkritik zu Stefans Zweig Schachnovelle.
Buchrezension Schachnovelle geschrieben von Stefan Zweig
Stefan Zweig wurde am 28.11.1881 in Österreich geboren und emegrierte Aufgrund der Machtübernahme der Nazis 1934 nach Großbritannien. Nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs nahm er die englische Staatsbürgerschaft an und wanderte über die USA nach Brasilien aus. Am 22.2.1942 nahm sich durch eine Überdosis Babiturat Veronal das Leben, da er für sich und Europa im Exil keine Chance sah. Seine politische Einstellung blieb bis zuletzt durch einen extremem Pazifismus gekennzeichnet.
Inhalt Schachnovelle
Mirko Czentovic ist ein einfacher Junge aus dem slawischen Raum, der nach dem Tod seines Vaters von einem Pfarrer großgezogen wird. Stoisch, doch ohne Fleiß erledigt er alle ihm aufgetragenen Aufgaben. Besonders renitent zeigt er sich gegenüber jeglichem Versuch etwas sinnvolles oder manierliches zu erlernen. Durch einen Zufall wird seine Begabung fürs Schachspiel entdeckt und somit beginnt sein unaufhaltsamer Siegeszug bis zur Schachweltmeisterschaft.
Sein Schachspiel ist so stoisch und bäuerlich wie sein Leben, weshalb der Erfolg ihm von allen Kollegen missgönnt wird. Er zeigt nicht die Feinheiten und Raffinessen, welche die Welt von einem Schachmeister erwartet. Ganz im Gegenteil, er legt eine enorme Habgier an den Tag und sein Spiel scheint schon fast autistische Züge anzunehmen. So kommt es, dass er auf einer Schiffsreise nach Buenos Aires durch wirre Zufälle Schach gegen Dr. B. spielt, der das genaue Gegenteil verkörpert.
Als ehemaliger Gefangener der Gestapo, war Schach das einzige Mittel, welches ihn vorm Wahnsinn bewahrte und doch an dessen Grenzen brachte. Als schon fast vergeistigtes Wesen betreibt er Schach auf einer völlig mentalen Ebene, losgelöst von den materiellen Figuren. Er lebt in der Komplexität des Spiels und wäre fast daran zerbrochen. Gezwungen mangels Gegner gegen sich selbst zu spielen und dabei eine gespaltene Persönlichkeit zu entwickeln, erlernte er die Finessen des Schachs in der Isolationshaft.
Kritik zur Schachnovelle
Die Novelle zieht den Leser von Anfang an in ihren Bann, da Zweig es außerordentlich versteht mit den Extremen zu spielen. So beherrscht Czentovic das Schachspiel auf eine außergewöhnliche Art und Weise, losgelöst von den üblichen Konventionen der anderen Schachmeister. Es erscheint fast als ungeheuerlicher Vorgang, dass jemand, der ansonsten so unfähig zur Entwicklung, ja zum eigenen Leben erscheint, Schach auf eine so überlegene Weise beherrscht. Der jeglichen gegnerischen Zug assimliert und sich zu eigen macht. Irgendwo abspeichert und nie wieder vergisst. Man könnte Czentovic als frühen Schachcomputer bezeichnen, der sich strikt ans Regelwerk und die ihm gezeigten Partien hält, unfähig seine eigenen Grenzen zu verlassen.
„Ist es nicht eigentlich verflucht leicht, sich für einen großen Menschen zu halten, wenn man nicht mit der leisesten Ahnung belastet ist, daß ein Rembrandt, ein Beethoven, ein Dante, ein Napoleon je gelebt haben? Dieser Bursche weiß in seinem vermauerten Gehirn nur das eine, daß er seit Monaten nicht eine einzige Schachpartie verloren hat, und da er eben nicht ahnt, daß es außer Schach und Geld noch andere Wert auf unserer Erde gibt, hat er allen Grund, von sich begeistert zu sein.“
Zitat Die Schachnovelle: Stefan Zweig, Seite 19
Diesem grobschlächtigem Schachspieler schickt Zweig den feinen Dr. B. entgegen, der gerade aus der Ermangelung an Dante, Beethoven und Rembrandt zum Schachspiel gezwungen wurde. Er beschreibt minutiös den Horrer, welchen er in der Einzelhaft unter der Gestapo erlitt. Das Schachspiel erscheint zunächst als Rettung, als Geistesübung, doch später wird es zu einer Herausforderung, zu einer Selbstüberwindung, an welcher der Mensch schließlich zu scheitern hat.
Hundertfach überlegen tritt dieser ehemalige Gefangene gegen den Schachweltmeister an und es prallen zwei Welten aufeinander, geradezu wie schwarze und weiße Figuren. Der eine immer an die materielle Seite des Schach gebunden und nie fähig über sich selbst hinauszuwachsen, der andere in der totalen Abstraktion, sich im Schachspiel völlig verlierend.
Zurecht ist die Schachnovelle ein Bestseller und mit Abstand Zweigs berühmtestes Werk. Verständlich geschrieben, auch für den Schachlaien nachvollziehbar, erschließt er dem Leser eine Welt voller Gegensätze. Man kann förmlich spüren wie Welten aufeinander treffen und wie um jegliche Haltung und jede Aussage gerungen wird.
Man wird mitgezogen in zwei Welten, die man beide nicht nachvollziehen kann, nur erahnen. Am Ende bleibt man zurück, etwas leer und doch zufrieden. Zweig reiht sich damit nahtlos ein in die gr0ßen seiner Zunft.
Ich kann für mich selbst nur sagen, Zweig hat mich eiskalt erwischt, hat mich berührt und aufgewühlt, so wie es lange schon kein Autor mehr getan hat. Er hat das getan, wozu nur Hemmingway, Sartre, Kafka und bedingt auch Hesse in Lage waren. Ein ganz, ganz großer Erzähler…