In der heutigen Buchkritik geht es um den Roman „Die Straße der Ölsardinen„ von John Steinbeck. Normalerweise hätte ich mich nicht auf einen weiteren Steinbeck eingelassen, aber nachdem mich das Buch förmlich ansprang, konnte ich mich nicht länger erwehren. Bisher hatte ich von Steinbeck „Tortilla Flat„ und „Früchte des Zorns„ gelesen. Beides zwar beeindruckend geschriebene Bücher, aber auch beide Male eine sehr deprimierende Erfahrung. Nun also das dritte Buch und hier die Buchkritik, samt Leseerfahrung.
John Steinbeck – Die Straße der Ölsardinen
John Steinbeck ist ein Meister der Erzählkunst und schon nach wenigen Zeilen versinkt man in seinen beschriebenen Welten. Nicht anders ergeht es dem Leser bei „Die Straße der Ölsardinen“. Im Original heißt das Buch übrigens Cannery Row und ist bei weitem der bessere Titel. Die deutsche Übersetzung ist eher schwachbrüstig. Jedenfalls liegt die Cannery Row an der Küste und besitzt als Zentrum eine Ölsardinenfabrik. In dieser Umgebung tummeln sich Menschen aus ärmeren Schichten und bilden das Viertel. Es handelt sich um einfache Leute, die in unserer heutigen Zeit vielleicht als beschränkt eingestuft würden. Trotzdem haben sie eine ganz eigene Welt voller Erlebnisse und kommen irgendwie mit den Dingen zurecht, die das Schicksal für sie bereit hält. Da gibt es den Krämer Lee, einem geschäftstüchtigen Chinesen, bei dem die ganze Straße Schulden hat. Auch aus der unmöglichsten Situation versucht er noch einen Vorteil für sich heraus zu schlagen. Dora, die Puffmutter der Roten Flagge und ihre Mädchen. Doc, der eigentlich Zoologe ist, aber von allen trotzdem zu jedem medizinischen Problem befragt wird. Und dann noch die Jungs aus dem Palace die sich rund um den gerissenen Mack einfinden.
Steinbeck beschreibt kleine Anekdoten aus dem Leben der Bewohner und da geschieht manch tolldreistes Abenteuer, ganz ohne Geld und ohne Verpflichtung. Es wirkt alles ganz natürlich und der Leser freut sich herzlich mit, wenn man einem der Jungs dazu gratuliert, dass er die Schlägerei beenden konnte, ohne dem anderen einen Knochen zu brechen. Man bewundert Dora, die mit allen Hindernissen, die ihrem Geschäft im Weg liegen, zu Rande kommt und man schmeckt förmlich den good old Tennisschuh auf der Zunge.
Sicherlich ist der Roman romantisch verklärt und würde heute durchaus als Milieustudie von Hartz IV Empfängern durchgehen und doch liest er sich locker leicht und verbreitet eine gute Grundstimmung. Vorbei mit der puren Hoffnungslosigkeit der sonstigen Steinbecks die ich las. Das Märchen endet so, wie es begann: absolut nichtssagend und doch wunderschön. Nur wenige Autoren können einen so in eine fremde Welt entführen, dass man denkt, man gehört dazu und alle Akteure wären alte Bekannte.
Ganz stark erinnerte mich das Buch an Tortilla Flat. Alleine der Inhalt liest sich sehr ähnlich, aber man wird nicht runtergezogen, sondern findet in der Armut noch eine gewisse Brillanz und Schönheit. Mag sein, dass dies nicht eine ganz herkömmliche Buchkritik ist und ich viel zu schwelgerisch vom Buch berichte, aber ich selbst bin noch völlig hin und weg einen positiven Steinbeck gelesen zu haben. Ich möchte das Buch auch nicht literarisch zerpflücken, möchte nicht interpretieren oder sogar erörtern, was Steinbeck mit diesem oder jenem gemeint haben könnte. Es ist ein Roman der wirkt und dies ist das einzige was zählt.
Ich empfehle „Die Straße der Ölsardinen“ uneingeschränkt weiter und wünsche allen Lesern ein ebenso großes Vergnügen, wie es mir bereitet wurde.
Beim nächsten Buch, das höchstwahrscheinlich wieder um einiges schlechter sein wird, kommt auch wieder die Kritik. Bis dahin zehre ich aber von diesem Leseerlebnis.
Für diese Buchkritik wurde Ullstein Buch Nr. 233 verwendet, Frankfurt / M. Titel der amerikanischen Originalausgabe „Cannery Row“, gedruckt 1959 im Ullsteinhaus Berlin.