Seit gut einem Jahrzehnt macht sich das Bild in der Öffentlichkeit breit, die Mafia sei tot. Mit diesem Vorurteil räumt Roberto Saviano in seiner literarischen Dokumentation Gomorrha gründlich auf. Hier nun eine kleine Buchkritik zu Gomorrha.
Zum Autor:
Roberto Saviano wurde 1979 in Neapel geboren und erlebte hautnah die Machenschaften der Mafia. Er ist der Sohn eines Arztes und einer Lehrerin. Nach seinem Studium der Philosophie arbeitete er als Journalist für „Il Manifesto“, „Corriere del Mezzogionro“ und „L’Espresso“. Nach der Veröffentlichung seines Romans Gomorrha 2006 erhielt er mehrere Morddrohungen der Camorra und steht seit dieser Zeit unter ständigem Personenschutz. Er muss alle 2 Tage seinen geheimen Aufenthaltsort wechseln.
Buchkritik Gomorrha
Die Mafia in ihrer ursprünglichen Form existiert nicht mehr. Die Mythen, die alten Bräuche und Traditionen existieren nur noch um den Gewinn der illegalen Geschäfte zu maximieren. Das goldene Prinzip der Mafia besteht heute in der Gewinnmaximierung, ganz gleich ob es sich um legale oder illegale Geschäfte handelt. Machtgewinn, Machterhalt und Machtausbau sind die zentralen Stützpfeiler des organisierten Verbrechens. Sobald sich ein Boss nur einen Moment sicher fühlt oder sich auf seinen Lorbeeren ausruhen möchte, steht schon sein Nachfolger bereit und räumt ihn aus dem Weg. Hier eine Stelle, die wohl wie keine zweite das Wesen der Mafia und den Geist dieses Buches beschreibt:
Alles kann man hinnehmen. Kein Licht machen, damit niemand erkennt, ob man zu Hause ist, mit vier Wagen unterwegs sein, nicht telefonieren und keine Telefonate empfangen, nicht zur Beerdigung der eigenen Mutter gehen. Aber es soweit kommen lassen, seine Geliebte nicht zu treffen, das wäre ein Hohn, das Ende jeder Macht
Zitat aus Gomorrha von Roberto Saviano, Seite 97 in der 3. Auflage 2009
Genau werden die Wirtschaftsverbrechen im Bereich Bauwesen, Müllentsorgung, Drogen- und Waffenhandel beschrieben.
Roberto Saviano ist ein wahres Meisterwerk über die Mafia gelungen. Er schreibt eindrucksvoll und zeichnet ein konkretes Bild der weltumspannenden Organisationen. Er beschreibt den Aufbau und die Systeme der Clans, das soziale Konstrukt Italiens, welches den Nährboden für die Mafia bietet. Aus ganz unterschiedlichen Bereichen kann er eindrucksvoll immer wieder den roten Faden zurück nach Italien und der Mafia finden. Ohne Spannungsbögen, ohne großen Stil, aber mit einer herzerfrischenden Ehrlichkeit schreibt sich Roberto Saviano seinen Frust von der Seele. Herausgekommen ist eine große Anklage an das organisierte Verbrechen. Er zeigt nicht mit dem Finger auf die anderen, welche nicht den Mut haben, aufzustehen und sich zu wehren. Zeile für Zeile scheint es so, als wäre es ihm ein innerstes Bedürfnis die Wahrheit ans Licht zu bringen. Er schreibt nicht für den Sinn und Zweck, er schreibt für den eigenen Seelenfrieden.
Wie bitter ist dagegen der Preis, den er nun für dieses Werk zu zahlen hat und ihn dazu bestimmt, ein Gejagter und Verdammter zu sein.
Meinen vollen Respekt für dieses Buch und ich kann es nur wärmsten weiterempfehlen.
Update Gomorrha – Film und Serie
Es sind nun schon einige Jahre seit dieser Lektüre vergangen und es gibt einige Neuigkeiten. Ein Film ist zum Buch erschienen, der nicht unbedingt den Inhalt so zeigt, wie er mir beim Lesen vorkam. Sicherlich muss man für einen Film auch visuelle Effekte und Spannungsbögen haben, aber die tiefen Einblicke des Buchs, konnte er nicht bieten. Spannender ist da die gleichnamige Fernsehserie, denn diese hat mehr Zeit bestimmte Dinge darzustellen. Da wird zum Beispiel gezeigt, wie ein ganzer Block zu einem Drogenumschlagsplatz umfunktioniert wird und auch die grausame Brutalität findet ihren Platz. Das Ende der ersten Staffel bietet viele Cliffhanger und hoffentlich wird eine Fortsetzung produziert.