Das Motiv der Robinsonade ist in der Literatur sehr verbreitet. Durch ein Unglück gelangt man auf eine einsame Insel und findet dadurch zu sich. Herr der Fliegen von William Golding ist die krasse Umkehrung dieses Motives und zählt zu den populärsten Büchern des 20. Jahrhunderts.
Ein moderner Klassiker – Zu Recht
Es herrscht ein Atomkrieg, eine Gruppe sechs- bis zwölfjähriger soll davor bewahrt werden und wird via Flugzeug evakuiert. Das Flugzeug stürzt ab, die Kinder landen auf einer einsamen Insel. Schnell entstehen Gruppen, eine Gruppe, die die sich „Jäger“ nennen, haben bereits einen Anführer, Jack.
Die Gruppe versucht, sich in Demokratie zu üben und wählt Ralph zu ihrem Anführer. Schnell kommt es zu Interessenkonflikten. Die Jäger fordern eine Sonderstellung und wollen jagen, Ralph will jedoch zunächst eine sichere Unterkunft und Rauchsignale.
Es kommt zur unvermeidbaren Trennung der beiden Gruppen, die durch das Gerücht eines schrecklichen Monsters auf der Insel, zusätzlich angeheizt wird. Jack, der seine Gruppe militärisch organisiert hat, verspricht den Kindern Sicherheit und so schließen sich ihm fast alle Kinder an. Als Ralphs Gruppe in der Minderheit ist, wird sie festgenommen und Ralph soll getötet werden.
Im Gegensatz zur typischen Robinsonade geht es hier darum, dass Menschen in Extremsituationen die Kontrolle über sich verlieren können und eine extreme Gewaltbereitschaft zeigen. Dadurch, dass es sich hierbei um Kinder handeln, deren Sozialisation noch nicht abgeschlossen ist, wird die Geschichte noch dramatischer.
Das Buch wirkte auf mich ziemlich schockierend und gleichzeitig faszinierend. Es wirkte alles gleichzeitig fremd und vertraut. Teilweise konnte ich mich gut mit den Kindern identifizieren, gerade mit dem Protagonisten, Ralph, der für die noblen Ziele ansteht, klappt das gut. Der Antagonist Jack ist sein Gegenpart und gibt letztlich sogar den Befehl, ihn zu töten. Jack ist sehr manipulativ und schafft es so, andere Kinder von seiner Geschichte zu überzeugen. Die Extremsituation führt er durch das Gerücht mit dem Monster herbei und setzt so die anderen Kinder unter Druck – die Jäger können Sicherheit gewähren, was kann Ralph?
Golding hat einen ganz eigentümlichen Schreibstil – ich weiß nicht genau, wie gut der in der deutschen Übersetzung rüberkommt, aber im Englischen ist es so, dass die Kinder in einer stark verstümmelten Umgangssprache miteinander sprechen, der Umgangston ist grundsätzlich ziemlich rau und unterstützt damit die Stimmung sehr gut. Das macht es etwas kompliziert, durch alles hindurchzusteigen, auch die Erzählweise ist nämlich manchmal etwas bruchstückhaft, Golding wechselt häufig die Perspektiven und der Leser wird in schnellem Tempo vom einen Schauplatz zum Anderen geführt.
Herr der Fliegen ist eine faszinierende Geschichte, die sich zu Recht moderner Klassiker nennt. Vielleicht kann nicht jeder mit diesem Buch so viel anfangen, wie ich, aber jeder sollte es einmal gelesen haben. Und so vergebe ich eine klare Leseempfehlung und 9/10 möglichen Punkten.
Gastbeitrag
Der Beitrag wurde von unserem Gastblogger Florian Ostertag geschrieben und uns samt Foto exklusiv fürs Literaturasyl zur Verfügung gestellt. Wir bedanken uns recht herzlich und hoffen auch weiterhin viele Beiträge von ihm zu lesen.