20 Jahre deutsche Einheit

Am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland nach langer Teilung wiedervereinigt. Es ist an der Zeit Glückwunsch zu sagen, einen Rückblick zu wagen und einen kritischen Blick auf die Gegenwart zu werfen.

20 Jahre deutsche Einheit

Zunächst ein Glückwunsch an uns selbst und an die friedliche Revolution, die vor über 20 Jahren auf deutschem Boden stattfand. Der sozialistische Staat wurde aufgelöst, Westdeutschland erreichte sein höchstes im Grundgesetz formuliertes Ziel der Wiedervereinigung. Stolz kann man darauf blicken, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um einen der sozial aktivsten und demokratischsten Staaten weltweit handelt. Wir können frei sagen, was wir denken; müssen nicht fürchten dafür eingesperrt zu werden und können uns ungehindert auf der Erde bewegen. Es gibt ein Postgeheimnis, es herrscht Religionsfreiheit und sogar Frauen besitzen die gleichen Rechte.

Glückwunsch an Deutschland und uns Deutsche. Wer hätte gedacht, dass wir zu einer solchen Wandlung fähig wären. Vor 65 Jahren waren wir das Urböse und heute sind wir wiedervereinigt und recht angesehen in der Welt.

Bis vor ein paar Jahren waren wir auch friedlich; schickten Hilfsgüter statt Truppen. Wir hielten uns sehr lange aus militärischen Auseinandersetzungen auseinander. Schade, dass ich diesen Punkt hier nicht mehr mit anführen kann.

Glückwunsch an uns Deutschen, dass wir wieder ein Volk geworden sind und sich noch rechtzeitig nach der Teilung Familien gefunden haben. Viele mögen es ganz und gar nicht so sehen, dass wir ein Volk sind und doch sind wir es viel mehr, als wir es eingestehen. So wie wir Schwaben die Badener akzeptieren müssen, die Fischköpfe die Bayern und die Ruhrpottler mit ihrer eigenen Existenz klarkommen müssen, leben die Wessis mit den Ossis und umgekehrt.

Gratulation Deutschland, dass es bewiesen wurde, dass genau in jenem Land, welches zwei Weltkriege zu verantworten hat, auch eine friedliche Abschaffung eines diktatorischen und totalitären Regimes möglich ist.

Es ist an der Zeit die alte Politik des ewig Schuldigen abzulegen und es darf und muss erlaubt sein, dass man auf diese Dinge ruhig ein wenig mit Stolz betrachten darf.

Rückblick auf die Wiedervereinigung

21 Jahre ist es her, als die Menschen im Osten auf die Straße gingen und für ihr Grundrecht auf Freiheit eintraten. Seit fast 21 Jahren ist die Mauer offen und nun sind wir 20 Jahre wiedervereinigt.

Ich persönlich hatte das große Glück, dass genau in jener Zeit mein politisches Erwachen geschah und ich die Geschehnisse bewusst wahrnehmen durfte. Ich erinnere mich an die großen Ostdeutschen Flüchlingsströme, an die neuen Klassenkameraden aus dem Osten, an die Öffnung der Mauer und an die übergroße Freude und Brüderlichkeit, welche im ganzen Land herrschte.

Ich vergesse aber auch nicht die Dinge, welche im Vorfeld geschahen und die Eindrücke der DDR. Eine zerschnittene Familie in Ost und West. Carepakete mit Kaffee, die vom Westen in den Osten gingen, ein reger Briefwechsel und die Listen der enthaltenen Dinge in den Paketen. Diese waren einfach notwendig, damit die Staatssicherheit keine Gegenstände aus den Paketen entfernte. Ich erinnere mich an die Telefonate mit meinen Verwandten im Osten, während derer es immer wieder mehr als nur komisch in der Leitung knackte. Selbstverständlich seien auch die rührenden Pakete in die Gegenrichtung zu Weihnachten und Geburtstagen nicht vergessen und die einzelnen Briefmarken, welche auf dem Umschlag so geschmuggelt wurden.

Nicht vergessen sei meine Reise in die DDR einem Monat nach dem Mauerfall beim Jahreswechsel 1989/1990. Das noch bestehende Regime zu erleben und zu sehen, war für mich als Jugendlichen unvorstellbar und erschreckend. Ein Unding sondergleichen in einen Laden zu gehen und nicht kaufen zu können, was man möchte. 10 Tage lang kein grünes Salatblatt zu haben, sondern immer wieder nur Weißkrautsalat. Eine Metzgerei zu betreten, dort 5 Verkäuferinnen in Vollanstellung zu sehen, die nichts im Angebot hatten als 4 Salami. Ich vergesse nicht, wie ich verzweifelt versuchte meine letzten Ostmark loszuwerden. Ich ging in ein Juweliergeschäft und wollte dann eben Goldschmuck kaufen, den gab es aber nur gegen die Abgabe von Altgold. Ich vergesse nicht, wie mein Onkel morgens um 8 auf die Baustelle fuhr und um 10 Uhr wieder da war, weil mal wieder keine Materiallieferung gekommen war.

Ich vergesse nicht den grauen Schleier und den Gestank der über der DDR lag, zumindest in den Teilen, wo die Braunkohle gefördert wurde. Ich vergesse nicht, dass die Hälfte aller Lokale geschlossen war aus technischen Gründen und dass es übersetzt nur hieß, dass man einfach zu viel Ungeziefer hatte. Ich vergesse nicht, wie ich im grünen Salon in Stralsund aß, wo auch Honeker und andere Leute aßen und auf der Stuhllehne gegenüber eine Kakerlake spazieren lief. Übrigens die erste Kakerlake meines Lebens.

Ich vergesse nicht, dass man 15 Jahre auf ein Auto warten musste, ich vergesse nicht, dass ich meine jüngeren Verwandten erst nach dem Mauerfall kennen lernen konnte, da sie das Ausreisealter von 65 noch nicht erreicht hatten. Ich vergesse nicht die Bekannten in Westdeutschland, die von der BRD freigekauft wurden. Ich vergesse nicht meine Urtante, die mit 85 immer noch einen Kohleneimer in den dritten Stock schleppen musste, damit sie es warm hatte.

Kurzum, die DDR war ein richtiges Scheißland. Totalitär, wirtschaftlich am Boden und völlig am Ende. Wer dies nicht erkennt oder anders sieht ist ein völliger blinder Idiot. Natürlich gab es auch gute Dinge in der DDR und es ist schade, dass man diese nicht alle in ein wiedervereinigtes Deutschland retten konnte. Selbstverständlich gab es eine große Solidarität unter den DDR-Bürgern, allerdings durch die Umstände geprägt und nicht aus einer ach so freiwilligen Gutmenschlichkeit. In Systemen, die nichts bieten, muss man sich selbst helfen. Dies war im Nachkriegsdeutschland des Westens nicht viel anders, als im Osten während der DDR-Zeit. Ein sicherlich sehr guter Punkt in der DDR war der garantierte KiTa-Platz, der nun auch wieder eingeführt werden soll. Allerdings ohne den Hintergrund einer ideologischen Kaderschmiede.

Die ach so guten verschwundenen Produkte der Ostzone (ja ich kenne den Begriff der Zone noch aus eigener Erfahrung), hatten einfach keinen Bestand auf dem Weltmarkt und mir wäre es auch lieber Twix hieße heute immer noch Raider. Andere, gute Produkte haben überlebt und erleben heute eine erneute Belebung.

Es war wirklich nicht alles schlecht in der DDR, aber es ist gut und richtig, dass es vorbei ist…

Ein kritischer Blick auf die Gegenwart

Dabei fällt einem zunächst das geflügelte Wort der blühenden Landschaften ein und so oder so, es gibt sie tatsächlich. Einerseits gibt es blühende Industriestandorte, andererseits blühende Landschaften, aus denen sich der Mensch zurückzieht und der Natur die Oberhand lässt. Solche Landschaften gibt es ebenfalls im Westen, wenn auch nicht in so großer Zahl. Ich selbst lebe an der Grenze zum strukturell und industriell total unterentwickelten Nordhessen.

20 Jahre wiedervereinigt und ich vermisse wie viele andere die gute alte Zeit. Damit meine ich nicht die Zeit vorm Systemwechsel, sondern eben genau jene Umbruchzeit. Die große Einigkeit, die Brüderlichkeit, die Gastfreundschaft und das Gefühl, es wächst zusammen, was zusammengehört.

Sicher geht es nicht allen besser im heutigen Deutschland, aber es wird auch niemand mehr aufgrund seiner politischen Ansichten eingesperrt und gefoltert. Der Sozialstaat funktioniert immerhin so gut, dass niemand im Land verhungern muss und selbst die Ärmsten unter uns haben heute Telefon und einen Farbfernseher. Man sollte sich vielleicht wirklich an die kleinen Unterschiede erinnern. Einerseits sollten wir unseren Wohlstand im Westen nicht für selbstverständlich halten und andererseits sollte man im Osten vielleicht mal darüber nachdenken, dass es Zeiten gab, in denen man froh war irgendwelches frisches Obst zu bekommen.

Wer danach schreit, die Mauer wieder aufzubauen oder die alten Zeiten glorifiziert, der hat im Grunde nur ein schlechtes Gedächtnis oder die Zeit nicht bewusst wahrgenommen.

Es stünde uns allen ganz gut weniger zu Jammern und voller Freude und Stolz auf das Erreichte zurückzublicken.

Nochmals Glückwunsch und eine frohe zwanzigjährige Wiedervereinigung…


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