In dieser Buchkritik wird der Roman „Das Rosie-Projekt“ von Graeme Simsion behandelt. Neben einer ausführlichen Inhaltsangabe, gibt es einige Angaben zum Autor, eine Analyse der Charaktere, sowie eine persönliche Einschätzung des Buchs. Erschienen ist es im FISCHER Krüger Verlag und bietet 352 Seiten Lesevergnügen.
Das Rosie-Projekt Inhalt
Donald Tillman ist 39, Assistenzprofessor für das Fachgebiet Genetik und man kann ihm wohl zugestehen, dass er ganz gut aussieht. Zudem ist er durch sein über Jahrzehnte andauerndes Aikido absolut durchtrainiert und hochorganisiert. Mit seinem Job verdient er gutes Geld und eigentlich könnte Tillman ganz zufrieden sein, aber da gib es das kleine Problem, dass er einfach keine Partnerin findet. Auch mit Freundschaften ist es so eine Sache, denn auch diese sind schwer zu finden und schwer zu pflegen. Da hätte er zum Beispiel Gene und seine Frau Claudia. Gene ist ebenfalls am Institut, versucht aber aus angeblich rein wissenschaftlichen Gründen einmal mit einer Frau aus jedem Land der Erde zu schlafen. Auch wenn er mit Claudia eine offene Ehe führt, ist sie als klinische Psychologin alles andere als glücklich darüber.
Wie dem auch sei, Tillman möchte also ein Weibchen an seiner Seite, genauer gesagt, er sucht direkt eine Ehefrau. Verabredungen erscheinen ihm als ein äußerst unprobates Mittel, denn zu oft hat er damit schlechte Erfahrungen gemacht. Um ehrlich zu sein, er hat sogar immer schlechte Erfahrungen gemacht. Aus diesem Grund startet er das Projekt Ehefrau und erstellt einen ausführlichen Fragebogen, mit dem er seine perfekte Partnerin finden möchte. Zum Beispiel wird nach Alkoholkonsum gefragt oder ob man Raucher ist. Für ihn sind dies Ausschlußkriterien, die sich nicht verhandeln lassen. Andererseits hofft er auch inständig, dass die Zukünftige nicht auf Aprikoseneis steht, denn das hatte bei einem Date schon zu einem echten Desaster geführt, zumal sich gerade Fruchteissorten geschmacklich kaum unterscheiden lassen. Gene und Claudia geben zu bedenken, dass es vielleicht schicklich wäre, wenn er seine sozialen Fähigkeiten zuvor testen würde, denn wenn die Richtige kommt, muss Donald für sie bereit sein. Bis dato hat der Test eine Durchfallquote von 100% und so hält Donald den Plan für äußerst logisch.
Rosie taucht eines Tages im Büro von Tillman auf und dieser denkt, sie sei von Gene geschickt worden. Ansatzlos verabredet er sich mit dieser zum Abendessen, auch wenn er sie direkt als Partnerin ausschließen kann. Sie ist desorganisiert, raucht, isst kein Fleisch und Meeresfrüchte nur, wenn sie nachhaltig produziert wurden. Leider kommt es schon vor dem Restaurant zum Eklat, denn dort wird ein bestimmte Dresscode verlangt. Tillman möchte einfach nicht einsehen, warum seine tolle Allround-Regenjacke nicht als Abendgaderobe durchgeht und gerät in Streit mit dem Pförtner. Darauf hin wird er von den Türstehern angegriffen, stellt diese aber mit seiner Kampfkunst ruhig. In diesem Moment taucht Rosie vor dem Lokal auf und ist gelinde gesagt erstaunt. Um noch zu retten, was zu retten ist, verlagern sich die Beiden in Tillmans Appartement und essen dort zu Abend. Tillman isst nach einem sich wöchentlich wiederholenden Essensplan, aber es reicht für zwei, da man nun mal keinen halben lebenden Hummer kaufen kann. Um es kurz zu machen, Tillman zeigt ausgewachsene autistische Züge, bzw einem schweren Fall von Asperger-Syndrom. Ihm selbst ist dies wohl nicht in Gänze bewusst, aber auch Rosie hat ihre Probleme und ist eigentlich auf der Suche nach ihrem biologischen Vater. Da Tillman Genetiker ist, liegt es nahe, dass er ihr hilft. Auch wenn sie sich gegenseitig als Partner ausschließen, rücken sie immer näher zusammen.
Buchkritik das Rosie-Projekt
(vorsicht Spoiler)
Das Buch wird als Komödie verkauft und erlangte damit weltweit einen Bestseller-Status und die Idee eines Autisten, der nicht im konkreten Sinn seine eigenen Defizite einsieht, kann unterhaltsam sein, gerade wenn dieser versucht unbedingt eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen. Die einzelnen Hauptcharaktere sind allerdings in ihrer Erfahrungswelt sehr beschränkt. Da hätten wir den Protagonisten Donald Tillman, der zwar auf seinen Fachgebieten ein ungeschlagener Experte ist, der aber gleichzeitig nicht in der Lage ist, eigenständig einzukaufen. Die Leute lachen ihn aus, was er zwar weiß, aber was ihn auch nicht weiter stört. Zudem überschreitet er in schöner Regelmäßigkeit die persönliche Privatsspähre seines Umfelds und gerade Gene und Claudia haben darunter zu leiden. Wer ab und zu mal in den Fernseher sieht, kann sich einfach Sheldon Cooper aus der Fernsehserie The Big Bang Theory anschauen und hat dort eine perfekte Charakterbeschreibung von Donald Tillman. Wer noch nicht überzeugt ist, könnte sich auch die Serie Boston Legal ansehen und dort die Figur des unter Asperger leidenden Jerry Espenson betrachten. Irgendwie fühlt man sich bei der Lektüre ständig an diese beiden Charaktere erinnert. Sheldon passt sogar außerordentlich gut auf die Figur und ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass die beiden so gar nichts gemein haben. Der angebliche Humor des Buchs basiert auf den selben Prinzipien und besteht nur aus einer sehr lauwarmen Form unterschiedlicher Betrachtungsweisen auf gesellschaftlichen Konventionen. Zumal wird Tillman als hochintelligent beschrieben und zeigt deutliche Züge eines Savanten.
Auch alle Hauptcharaktere stammen aus dem akademischen Umfeld, scheinen aber aber ihre geistige PS-Anzahl einfach nicht auf die Straße des normalen Lebens zu bringen. Rosie, als normaler Gegenpart Tillmans, trägt selbst ein sehr schweres psychisches Päckchen mit sich herum. Seit dem Tod ihrer Mutter ist sie fürs Leben gezeichnet und wünscht sich ihren biologischen Vater zu finden. Ihre Mutter gestand ihr einen Seitensprung und dies wirkt sich deutlich auf das Verhältnis zu ihrem Stiefvater aus. Eigentlich ist sie Doktorandin, arbeitet aber nebenher als Thekendame in einer Schwulenbar. In dieser hat Tillman natürlich auch aufzutauchen und so gilt er mitten in diesem bunten Treiben schon als Exot. Humor mit dem Vorschlaghammer, genau richtig für das Nachtschränkchen einer spießigen Hausfrau mittleren Alters. Wie auch immer, Rosie ist Akademikerin, Gene und Claudia ebenfalls und niemand kann voraussehen, worin die große Wende des Buchs am Ende besteht. Klar, wie die Hauptfigur selbst erwähnt, würde es dann auch keine Geschichte geben. Wirklich schlau ist das aber nicht und fördert bei mir auch nicht das Lesevergnügen. Nun gut, genug Kritik am roten Faden der Hauptgeschichte, aber ohne sie bleiben nur einzelne Episoden eines Mannes, der in falsches soziales Umfeld gesetzt wird und sich dort als Außenseiter die Herzdame schnappt. Teilt man den Humor des Autors nicht, dann überkommt einen beim Lesen teilweise Mitleid mit Tillman, auch wenn dieser selbst nur äußerst selten zu Emotionen fähig ist. Sehr spannend war die Erkenntnis, dass genau diese Lesegefühle teilweise im Buch selbst thematisiert werden. Meist kommt dies in einzelnen Sätzen zum Vorschein, aber sollte dies so vom Schriftsteller geplant sein, ziehe ich meinen Hut. Damit hätte das Buch eine zweite, hochliterarische Ebene und lohnt sich durchaus. Die Chancen dafür stehen jedoch schlecht und es ist eher wahrscheinlich, dass ich an dieser Stelle zur Überinterpretation neige.
Der Gegenpart ist der sozial äußerst kompetente Gene, der sich quer durch die Welt vögelt. Er ist smart, weiß sich zu benehmen und zu bewegen, sieht aber nicht, wie seine eigene Ehe in die Brüche zu gehen droht. Tillman ist zwar sein Freund, aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass er ihn ausnutzt, bzw sich selbst durch ihn erhöht. Dies bezieht sich nicht auf die Nutzung der von Tillman abgelehnten Bewerberinnen des Fragebogens, sondern viel mehr im direkten Verhalten. Durch die soziale Inkompetenz Tillmans fängt Gene regelrecht an zu strahlen und so bleibt die Frage, was dies überhaupt für eine Freundschaft ist.
Die Nebencharaktere des Buchs bleiben seltsam blass. Zwar wird hier und dort immer wieder ein Professor besucht, die Dekanin wird öfters als Bedrohung dargestellt und auch Rosies Stiefvater hat seinen Auftritt. Ihre Beweggründe, ihre weiteren Handlungen und Gefühle bleiben dem Leser jedoch verborgen. Da das Buch aus der Sicht Tillmans geschrieben wurde, mag dies zwar konsequent sein, lässt die Figuren jedoch recht hohl aussehen.
Mit am meisten störte mich das Ende des Buchs. Der offensichtlichste Test wurde von keinem bis dato in Betracht gezogen und dient nur der Story des Buchs, aber der wirklich eklatante Fehler bezieht sich auf die simple Erlernung von Smart Skills durch Tillman. Hier wird ein Syndrom lächerlich gemacht, denn wäre es so einfach für Betroffene, hätten sie keine Probleme. Klar, der Normalo-Leser bekommt dadurch sein Happy End und natürlich bekommt er am Ende die Prinzessin, aber die Art wie dies geschieht ist einfach nur traurig und lächerlich. Mir kommt es wie eine Verunglimpfung einer Krankheit vor und damit mag ich mich nicht abfinden.
Der Autor
Graeme C. Simsion wurde 1956 in Auckland, Australien geboren. Ursprünglich ist er ein IT-Spezialist mit dem Fachgebiet der Datenmodellierung. Laut eigenem Lebenslauf hat er unter andrem auch eine Firma für IT-Consulting gegründet, sowie beim Aufbau der Geschäfte Roy’s Antiques und Pinot Now geholfen. Der verheiratete Simsion (Name der Frau: Anne Buist) hat 2 Kinder und schreibt unter anderm auch Theaterstücke und Kurzgeschichten. Das Rosie-Projekt war 2013 sein Debütroman zu dem er 2014 das Nachfolgewerk „Der Rosie-Effekt“ veröffentlichte. Er lebt mit seiner Familie zum Zeitpunkt dieses Beitrags in Fitzroy (Melbourne) Australien.
Fazit und eigene Ansicht
Die Buchkritik ist recht harsch ausgefallen, aber ich muss zugeben, dass ich mich bei der Lektüre durchaus amüsierte. Würde ich die schon zuvor genannten Figuren aus Film und Fernsehen nicht kennen, hätte mich das Buch sicherlich gepackt. So las ich aber eine alternative Geschichte Sheldon Coopers und es war mir nur sehr bedingt möglich die dazugehörige Visualisierung auszublenden. Das Rosie-Projekt ist vor allem Menschen zu empfehlen, die auf leichte Kost beim Lesen stehen und sich vielleicht die halbe Stunde vorm Einschlafen vertreiben wollen. Mit wirklicher Literatur hat es herzlich wenig zu tun.
Ich halte es stellenweise für sehr ambivalent, denn einerseits wird immer gezeigt, wie verletzend das auslachen solcher Leute ist, gleichzeitig basiert aber der gesamte Humor des Buchs auf eben jener Schadenfreude. Für meinen Geschmack hätte der Autor da ein wenig feinfühliger sein können. Zu seiner Verteidigung sei jedoch gesagt, dass es sich um ein Erstlingswerk handelt und wenn ich dies im Kontext mit anderen Erstlingswerken sehe, werde ich mir sicher noch ein paar weitere Bücher von Graeme Simsion durchlesen. Unbestreitbar ist ein großes Potenzial vorhanden und muss wahrscheinlich nur noch den richtigen Schliff bekommen. Ob es nun direkt der zweite Roman „Der Rosie-Effekt“ wird, kann ich dabei noch nicht sagen. Vielleicht tut ein wenig Abstand ganz gut, aber auch bei aller Kritik, Graeme Simsion wird weiterhin auf meiner Leseliste stehen.